
Sich (nicht nur) auf Ostern vorbereiten
von Pfarrer WahlAuch vor Ostern begannen schon immer Christinnen und Christen „spirituellen Momenten“ Räume zu öffnen. Entsprechend wurde die Passions‐ und Osterzeit gestaltet.
„»Spirituelle Momente« sind für mich Augenblicke, in denen ich ahne, dass da mehr ist als ich verstehen kann, in denen ich mehr spüre, als ich sehen oder hören kann, in denen ich anders reagiere, als ich erwarten kann.“
Die Erklärung von der Präsens der Ev. Kirche in Deutschland, Anne‐Nicole Heinrich (26 Jahre alt), gefällt mir. Mir wird bewusst, dass da etwas »Höheres« existiert, als ich selber bin, das vor meiner Geburt war und nach meinem Tod ist. Manche Menschen berichten, dass so ein »spiritueller Moment« sie ohne Vorwarnung und unverhofft überfallen hat. Die meisten Menschen führen aber solche Erfahrungen auf einen Prozess in ihrem Leben zurück. Von einem Familienmitglied oder einer befreundeten Person haben sie etwas vom Glauben erfahren. Oder sie waren im christlichen Kindergarten, im Kindergottesdienst, wurden konfirmiert oder nahmen an einem christlichen Angebot teil. Sie hatten also schon Berührungspunkte mit der christlichen Tradition. Und dann kam so ein spiritueller Moment.
Es kann, muss aber nicht ein großes Erweckungserlebnis sein. Anne‐Nicole Heinrich spricht von einer Ahnung. Andere nennen es ein ganz besonderes Gefühl, was sich von anderen Gefühlen unterscheidet und neugierig macht. Diebspirituelle Formel (Aktion=Ergebnis) trift es nicht. Viele Religionen haben Formen entwickelt, die spirituellen Erfahrungen eine Chance geben.
Gerade in der protestantischen Tradition sind spirituelle Formen skeptisch bewertet worden. Eigentlich schade. Denn sie können so gut tun. So kommen viele Menschen erfüllt von einer Pilgerreise zurück. Hundebesitzerinnen und Hundebesitzer sind ja oft mit ihrem Weggefährten unterwegs. Als Jugendlicher habe ich die Spaziergänge mit meinem Hund genutzt, um meine Gedanken schweifen zu lassen. Der Zwang des „Gassi‐Gehens“ schenkte mir einen Rhythmus, der mir gut tat. Auch ohne Hund kann sich jeder und jede eine stille Zeit pro Tag einrichten. Ein Tagebuch ist dafür ein guter Begleiter. Das regelmäßige Lesen des für jeden Tag ausgelosten biblischen Verses, zum Beispiel in der Sammlung der Herrnhuter Losungen, ist für mich ein gutes Ritual.
Jedes Jahr gestalte ich in der Passionszeit (40 Tage vor Ostern) eine Fastenzeit, in der ich auf Alkohol, Süßigkeiten oder eine Mahlzeit am Tag verzichte. Viele sind vom Heilfasten begeistert. Auch beim Singen und Einsingen kann man neue Erfahrungen machen. Musik hat auch eine spirituelle Dimension. Deshalb bieten wir in unserer Kirche ja unterschiedliche musikalische Angebote für Jung und Erwachsen an. Apropos Kirche: Im Osterfrühgottesdienst erfahre ich besondere spirituelle Momente. Im Dunkeln finde ich mich in der Kirche ein. Die Dämmerung läutet den neuen Tag ein. Und dann geht von der Osterkerze ein Lichtermeer in der Kirche aus. Dann wird mir bewusst, dass da etwas »Höheres« existiert, als ich selber bin, das vor meiner Geburt war und nach meinem Tod ist.